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„Ist’s gut gemacht, sitzt der Anzug.“

Er liefert Stoff für die Energieautonomie: Zusammen mit seinen 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bringt Martin Wagner mit maßgeschneiderten Haustechnik- und Anlagenlösungen Energieeffizienz in Industrieprojekte und kommunale Anlagen.

Die Rolle der Industrie auf dem Weg zur Energieautonomie
Toni Meznar

Die Rolle der Industrie auf dem Weg zur Energieautonomie

Allein zwei der jüngeren Projekte des Spezialisten für Haus- und Anlagentechnik senken den Gasverbrauch in Vorarlbergs Industrie um 1,3 %. Für den gleichen Effekt müssten in rund 1.000 Wohnhäusern die Gasheizungen ausgebaut werden. Wir haben mit Martin Wagner über die Rolle der Industrie auf dem Weg zur Energieautonomie gesprochen.

Zwei Projekte mit dem Effekt von tausend Einzelmaßnahmen: Führt der Weg zur Energieautonomie über die Industrie?

Martin Wagner: Für die Energieautonomie braucht es alle Puzzlesteine. Natürlich ist die Industrie eine große Energiekonsumentin, aber auch sehr komplex. Der Tausch einer Heizung in einem Wohnhaus ist technologisch deutlich einfacher.

Christof Drexel taxiert das Einsparpotential der Vorarlberger Industrie bei den fossilen Energieträgern auf 30 bis 50 %. Wie siehst du das?

Das ist sicher realistisch. Wenn man wirklich alles sauber optimiert, können das auch gut und gerne 80 % sein. Aber das ist dann nicht mehr ganz einfach.

Wie steigt ein Industriebetrieb konkret von Öl oder Gas um auf Erneuerbare?

Wir suchen immer zuerst nach Möglichkeiten, direkt Energie im Betrieb zurückzugewinnen, das ist das Effektivste. Wir suchen alle Abwärmequellen und erfassen deren Temperaturniveaus. Dann schauen wir, ob Verbraucher im Gelände sind, die mit dem jeweiligen Niveau das Auslangen finden. Bevor wir die dann zusammenschließen können, sind noch Fragen offen wie: Fällt die Abwärme an, wenn sie an anderer Stelle gebraucht wird? Was passiert, wenn die Abwärme mal nicht reicht? Und wie liegen Quelle und Verbrauch örtlich zueinander? Und die Wärme, die für die direkte Verwendung nicht ausreicht, hieven wir mit Wärmepumpen auf das benötigte Niveau. Mit der Kälte verfahren wir genauso. Da gilt es, den passenden Anzug zu schneidern, die passende Farbe, den passenden Schnitt, das passende Modell – und da braucht es auch einen guten Schneidermeister, der das dann auch gut umsetzen kann. Wenn man alles richtiggemacht hat, sieht auch der kleine, dicke Anzugträger gut aus, weil der Anzug richtig gut sitzt.

Das braucht aber etwas Zeit, oder?

Das ist durchaus komplex, und wenn ein Betrieb nicht gerade neu gebaut wird, kann sich dieses Suchen und Zusammenschließen auch über mehrere Bauetappen und Jahre ziehen.

Ist der Umstieg auf Erneuerbare eher eine Frage von Ideologie und Image? Oder geht es sich auch für scharfe Rechner aus?

Die Industrie rechnet immer zuerst. Und sei es, dass jemand aus dem Marketing sagt, dass sich ein Produkt mit einer grünen Fahne besser verkauft. Leider ist es so, dass solche Fahnen schnell einmal gehisst werden und kaum jemand prüft, ob zurecht oder nicht. Der Vorteil am Markt kann daher schnell dahin sein. Deshalb muss sich die Effizienzmaßnahme per se rechnen. Und zwar nicht wie im Privaten, wo sich Maßnahmen vielleicht nach 15 oder 20 Jahren rentieren. Die Industrie will deutlich geringere Amortisationszeiten. Zumindest solange es keine Gesetze gibt, die CO₂-Emissionen regeln. Es gibt zwar für alles ein Gesetz, aber man darf soviel CO₂ emittieren, wie man will.

Gibt’s in Vorarlberg Betriebe, die auf Wasserstoff oder E-Fuels angewiesen sind, um Gas und Treibstoffe zu ersetzen?

Natürlich gibt es Betriebe, die sehr hohe Temperaturen benötigen, da wäre meist Holz ein Thema. Den vermeintlich einfachen Umstieg auf Wasserstoff und E-Fuels sehe ich kritisch, weil das energietechnisch nicht so bald Sinn macht. Das klingt gut in politischen Reden, weil die Leute dann meinen, dass es eh eine ganz einfache technische Lösung gibt und wir dann mit Trinkwasser durch die Gegend fahren. Aber die Verluste in der Produktion von E-Fuels sind enorm und wir haben viel zu wenig CO2-freien Strom dafür. Außer wir setzen wieder verstärkt auf Atomenergie, was mir persönlich gar nicht soooo unsympathisch wäre. Wir haben in erster Linie ein großes CO2-Problem, das uns fast schon kurzfristig die Lebensgrundlage nehmen könnte.

Stichwort Holz: Das ist bei den Wärmenetzen in Vorarlberg der wichtigste Energieträger. Wohin wird sich das entwickeln?

Wir liefern Anlagenteile für die Seewassernutzung in Bregenz, das ist schon spannend, insbesondere natürlich zum Kühlen. Ob’s auch zum Heizen ideal ist, bin ich nicht sicher, da der See im Winter schon ziemlich kalt ist. Da ist Abwärme aus Industrie effizienter. Apropos Wärmenetz und Abwärme: Obwohl der Walgau nicht besonders dicht besiedelt ist, fände ich eine Fernwärmeschiene Walgau mit Abwärme aus Industrie und Lünersee II einmal ein wirklich innovatives Projekt.

Ihr macht auch etliche Projekte in der Schweiz. Was hat uns die Schweiz voraus?

Bei den Projekten, bei denen wir dabei sind, sind uns die Schweizer in zwei Dingen voraus. Sie bauen Fernwärmenetze mit Wärmepumpenauslegungen bei 75 °C Vorlauftemperatur und bauen auch die Zentralen wesentlich größer. Das macht die Netze natürlich teurer, aber dafür sind sie für die nächsten hundert Jahre für den sich entwickelnden Wärmepumpenbetrieb geeignet.
Und das zweite ist das „Open Book“-Verfahren. Da wird der Auftrag an Unternehmen vergeben, denen man vertraut. Die sichern zu, den Auftrag zum bestmöglichen Preis abzuwickeln. Dafür öffnen sie dem Auftraggeber quasi die Bücher, damit er sich dessen auch sicher sein kann. Die Erfahrung zeigt, dass das für die Kunden viel schneller und am Ende wirtschaftlicher ist. Ob das bei uns auch ginge, weiß ich nicht. Hier jedenfalls sind Projekte der öffentlichen Hand extrem ineffizient und durch die vielen Planer und die komplizierten Ausschreibungen aufwändig. Außerdem kommen oft die billigsten, aber nicht die besten Anbieter zum Zug.

Du bist schon lange dabei, was muss passieren, damit wir in Vorarlberg die Energieautonomie auch wirklich erreichen?

Ganz, ganz viel. Wir hoffen, dass wir alles mit Technik lösen können – und die Politik redet uns das auch ein, weil man mit Verzicht halt keine Wahlen gewinnt. Aber es würde viel mehr Verzicht brauchen, als wir aktuell bereit sind, zu leisten. Gleichzeitig dürfen wir natürlich nicht die ganze Produktion samt der CO₂-Emissionen ins Ausland verlagern. Dann sind wir zwar energieautonom, aber pleite. Und ganz grundsätzlich frage ich mich, von wem sich unsere Politik in diesen Fragen beraten lässt, denn manchmal habe ich das Gefühl, dass man das verbessern könnte. Wenn wir die Energieautonomie wirklich wollen, müssen wir alle klugen Köpfe einbeziehen und motivieren, mitzuarbeiten.

Die Wagner GmbH

Martin Wagner ist Geschäftsführer der im Jahr 1957 gegründeten Wagner GmbH, die lange als klassischer Installationsbetrieb erfolgreich war. Kurz nach der Jahrtausendwende wurde der Fokus stärker auf den Anlagenbau gerichtet. In mehreren Schritten wurde die Firma zum Anbieter von Anlagen- und Haustechniklösungen im größeren Stil. Aktuell beschäftigt die Firma mit Sitz in Nüziders rund 100 Mitarbeiter*innen, davon 21 Lehrlinge. 2024 wurde Wagner mit dem Energy Globe Vorarlberg ausgezeichnet.